Unverständnis und Ablehnung für den Verdi-Streik

Es ist lange her, dass ich mich in meinem Blog zu einem Thema geäußert habe, das weder mit unserem Unternehmen noch mit unserem Beruf zusammen hängt. Heute muss es aber mal wieder sein, denn das was Verdi am morgigen Donnerstag in vielen Städten Deutschlands – und auch in Hamburg – durchführen wird, finde ich unverschämt und unverantwortlich. Die Streikenden können zumindest nicht mit meinem Verständnis rechnen. Wieso das so ist, möchte ich im heutigen Blogbeitrag erklären.

Zunächst muss ich eine Info vorweg schicken. Ich bin seit einem Vierteljahrhundert Selbstständig. Das bedeutet, dass ich seit 25 Jahren Arbeitgeber bin. Es kommt sogar noch schlimmer. Meine Eltern waren seit den 70er Jahren Arbeitgeber. Ich bin also von klein auf in einem Umfeld von Selbstständigen aufgewachsen. Da liegt die Vermutung nahe, dass ich somit fast schon genetisch über eine ablehnende Haltung gegenüber Gewerkschaften oder Interessenvertretungen von Arbeitnehmern verfüge. Könnte man denken. Ist so aber nicht. Im Gegenteil.

Mein Unternehmensberater sagte einmal zu mir: „Lars, Du bist mein einziger Mandant, der ständig mit einer Gewerkschaftsfahne durchs eigene Büro läuft.“ Wieso er das sagte? Weil bei allen Gedankenspielen über mögliche Veränderungen in unserem Unternehmen, ich ihn immer frage, welche Vorteile unsere Mitarbeiter von dieser Veränderung hätten. Das klingt jetzt vielleicht ein wenig merkwürdig, ist aber so. Bin ich deswegen ein Vorzeige-Chef? Nun… fragt unsere Mitarbeiter und ich bin mir sicher Ihr hört viele Dinge die es aus ihrer Sicht zu verbessern gibt. Ich befürchte ich werde nicht jeden Abend mit ins Abendgebet genommen. Manche Entscheidungen finden einige Mitarbeiter eventuell auch total doof. Das kann sehr gut so sein, da ich es natürlich nicht immer allen Recht machen kann. Aber eines kann man mir definitiv niemals vorwerfen: Das ich nicht bei allen Entscheidungen zumindest versuche, dass möglichst alle Mitarbeiter bei Veränderungen profitieren. Insofern würde man es sich viel zu einfach machen, wenn man behaupten würde, dass ich nur den Blick eines Arbeitgebers habe oder ich generell gegen Arbeitnehmer-Streiks oder gar gegen „Verdi“ wäre. Dem ist definitiv nicht so. Aber….

Das Verdi die Angestellten von öffentlichen Verkehrsmitteln morgen am Donnerstag in einen 24 Stündigen Warnstreik schickt, finde ich völlig unbegreiflich, unangemessen und vor allem absolut unsolidarisch!

Hey Verdi, wir befinden uns mitten in einer Pandemie, in der die Zahlen sogar gerade deutlich steigen und unser aller Leben Gefahr läuft immer spürbarer eingeschränkt zu werden. Das betrifft nicht nur uns alle als Privatpersonen, sondern dies betrifft auch unser Berufsleben. Viele Geschäfte, Unternehmen und Händler kämpfen um ihre Existenz. Und da glaubt Ihr wirklich dass man Verständnis hat wenn Ihr streikt, weil Ihr dem ÖPNV – und damit bei uns in Hamburg der „Hamburger Hochbahn“ – vorwerft, dass die Mitarbeiter eine zu geringe Entlastung und zu geringe Wertschätzung entgegen gebracht wird? Ja, spinnt Ihr jetzt total?

Als Arbeitgeber habe ich die Befürchtung, dass es vielen unserer Mitarbeiter morgen schwer fallen wird pünktlich zur Arbeit – und am Abend pünktlich nach Hause zu kommen. Als Selbstständiger habe ich die Befürchtung, dass Kunden kurzfristig absagen, weil der Nahverkehr zusammen bricht. Als Privatperson habe ich die Befürchtungen, dass morgen die S-Bahnen so dermaßen voll sein werden, dass dies auch Auswirkungen auf die COVID-19 Fallzahlen in Hamburg haben könnte.

Verdi bringt Menschen in fast allen Deutschen Großstädten nicht nur in gesundheitliche Gefahr, sondern spielt auch mit der Zukunft vieler Arbeitsplätze. Sollte sich in Hamburg oder in anderen Städten aufgrund dieses Streiks – und damit gleichbedeutend der Ballung vieler Menschen auf wenige Verkehrsmittel – die Corona-Situation verschärfen, sind regionale Lockdowns sicherlich denkbar. Das wiederum würde mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit vielen Unternehmen ihre Existenzen kosten und damit Arbeitsplätze vernichten. Und warum noch einmal? Weil die Manager im ÖPNV ihre Mitarbeiter eine zu geringe Wertschätzung entgegen bringen? Verdi glaubt hoffentlich nicht wirklich, dass dies in der breiten Masse der Bevölkerung auf Verständnis stößt.

Um mich hier noch einmal möglichst klar zu positionieren: Mit meiner Kritik an diesem Streik unterstelle ich keineswegs, dass es in der Organisation und der Führung des ÖPNV´s keine Probleme geben könnte. Ich bin Friseur. Ich habe überhaupt keine Ahnung von der Situation bei der Hamburger Hochbahn. Das was Verdi kritisiert, ist sicherlich in Teilen auch kritikwürdig. Das es Dinge gibt die zu kritisieren sind, stelle ich ja überhaupt nicht in Zweifel. Das was ich kritisiere ist, dass von uns allen in Zeiten dieser Pandemie erwartet wird, dass wir uns der aktuellen Situation stellen und versuchen moderne und zeitgemäße Lösungen finden, um solidarisch durch diese Krise zu kommen. Verdi hingegen scheint sich der besonderen Situation und der eigenen Verantwortung gegenüber der Gesellschaft nicht bewusst zu sein. Man bedient sich an dem einen Mittel, mit dem man schon seit Ewigkeiten versucht seine Forderungen durchzudrücken. Mit Streik. Mit einer erheblichen Erschwerung des Lebens jedes einzelnen Mitbürgers in Zeiten einer Pandemie mit steigenden Fallzahlen. Das geht gar nicht!

So wie man von mir erwartet, dass ich neue Wege beschreite um mein Unternehmen zu erhalten, Arbeitsplätze zu sichern und Kunden glücklich zu machen, so denke ich ist es nicht zu viel verlangt von einer so großen und starken Gewerkschaft zu erwarten, dass sie ebenfalls neue Wege beschreitet um vorhandenen Probleme anzusprechen und bestmögliche Lösungen für ihre Mitglieder und betreffende Arbeitnehmer zu erzielen. OHNE die große Keule eines Streiks zu schwingen. OHNE die Sorgen und Probleme sehr vieler Menschen zu vergrößern, die für die aktuelle Situation beim ÖPNV und bei Verdi gar nichts können.

Ein Streik ist oftmals nur dann erfolgreich, wenn er von großen Teilen der Gesellschaft mitgetragen wird. Einschränkungen finden wir alle nicht schön. Wenn wir aber wissen dass die Arbeitnehmer aus gutem Grund auf ihre Probleme aufmerksam machen und auf die Strasse gehen, dann ärgern wir uns zwar über die Unannehmlichkeiten die dies mit sich bringt, haben aber im Herzen Verständnis für die Aktion. Dies ist bei dem aktuellen Streit definitiv nicht so. Sehr viele Menschen haben Sorgen und sind mit ihren Kräften am Limit. Egal welcher Berufsstand, egal welchen Alters. Uns alle nun durch diesen egoistischen Streik in diese zusätzlich schwierige Situation zu bringen, empfinde ich unangebracht, unangemessen und vor allem absolut unsolidarisch gegenüber der Bevölkerung. Keine Streikende und kein Streikender soll morgen denken, dass ich für diese Arbeitsniederlegung auch nur den Hauch eines Verständnisses habe. Wir sind alle an einer Belastungsgrenze angekommen. Dies gilt sicherlich für Mitarbeiter im ÖPNV, aber dies gilt ebenso für eine sehr breite Masse der Gesellschaft!

Wer mir nun mit alter Rhetorik vorwirft als Arbeitgeber ja generell gegen Verdi oder andere Gewerkschaften zu sein, der hat entweder diesen Blog nicht gelesen, nicht verstanden oder ist zu engstirnig um zu begreifen, dass ich sehr wohl Sympathien und Verständnis für eine Vielzahl von Streiks besitze. Bei dem morgigen Streik ist dies aber definitiv nicht der Fall. Es ist ein Armutszeugnis für die Entscheidungsträger bei Verdi, dass sie im Oktober 2020 für ihre Mitglieder nicht auf anderem Wege versuchen Verbesserungen zu realisieren. Solidarität sieht anders aus. Wer sich in diesen Zeiten gegenüber der Gesellschaft unsolidarisch verhält, wird es auch „nach der Pandemie“ schwer haben akzeptiert und respektiert zu werden. Oder um es mit Worten eines Facebook-Freundes zu sagen:

Wer Solidarität der Gesellschaft für seine Klientel einfordert, der muss auch bereit sein, der Gesellschaft (gerade in der aktuellen Situation) selbiges zu geben.

Olaf Kühl

Herzlichst, Lars Nicolaisen