TRAURIGER 1. AUGUST

Das war gestern ein ganz merkwürdiger 1. August. Traurig – und dennoch fühlte es sich richtig an. Ich bin seit 1990 im Familien-Unternehmen tätig. In diesen über 30 Jahren habe ich immer – IMMER – am jeweils 1. August unsere neuen Auszubildenden begrüßt. Mal waren es nur 2-3 neue Azubis. In den letzten 20 Jahren waren es jedoch oft sogar 5-6 junge Menschen, die bei uns gemeinsam in ihr Berufsleben gestartet sind.

Dieser 1. August war für mich immer ein sehr besonderes Datum. Ich weiß selber noch sehr genau wie ich mich am 1. August 1984 fühlte, als ich in mein Berufsleben gestartet bin. Als verantwortlicher Inhaber war es mir immer ganz wichtig alle neuen Auszubildenden am ersten Tag zu begrüßen, viele Informationen über uns, unsere Kultur und unsere Werte zu vermitteln – und Ihnen auch wichtige Fakten über unserem Beruf zu erklären. Ich sagte was wir von ihnen erwarten – und wir sprachen auch darüber, was sie von uns erwarten können. Anschließend präsentierten sich die jeweils verantwortlichen Ausbilder:innen und gestalten diesen so besonderen Tag immer unterschiedlich. Mal wurde gleich handwerklich trainiert. Mal ging es zu einem gemeinsamen Fotoshooting. Mal besuchte man alle drei Salons und erklärte die Besonderheiten der jeweiligen Teams.

Der 1. August war für mich immer ein Highlight eines Kalenderjahres. Vielleicht wird das auch in Zukunft wieder so sein, doch bei unserem Kick-Off Meeting im Januar 2023 haben wir gemeinsam beschlossen unsere Ausbildung für 2023 zu pausieren. Zu Zeit-, Kraft- und Kostenintensiv hatte sich bei uns die Ausbildung entwickelt. Und so kam ich gestern früh ins Büro… und alle Stühle blieben unbesetzt. Selten hat sich mein Büro so leer und traurig angefühlt wie gestern.

Bilden wir nicht mehr aus? Quatsch! Natürlich freuen wir uns über die Auszubildenden die momentan bei uns sind. Diese jungen Menschen auszubilden und in ihr Berufsleben zu begleiten, ist für uns eine ganz wichtige Angelegenheit. Rosanna als verantwortliche Ausbilderin – und auch die vielen Kolleginnen und Kollegen in den Salons – machen das ganz wunderbar. Alle Azubis die bei uns sind, erfreuen uns und sind in den Teams ganz wichtige Faktoren und wertvolle Teammitglieder! Dennoch brauchten wir jetzt mal eine eine Pause.

Wir benötigen neue Impulse und Antworten auf dringende Fragen. Die Generation Z tickt einfach anders als all die anderen Generationen zuvor. Wie kann man dem gerecht werden? Wie können Ausbildungsbetriebe unterstützt werden? Keine 20% aller Friseursalons bildet noch aus, aber alle 80.000 Friseursalons wünschen sich Nachwuchs. Ausbildung nimmt mittlerweile einen unfassbar großen Kostenfaktor ein. Ein junger Mensch der bei uns drei Jahre ausgebildet wird, kostet uns ca. 40.000 Euro. Eine Investition, der sich schon lange nicht mehr betriebswirtschaftlich darstellen lässt. Anders als in allen anderen Handwerksberufen sind wir alle immer direkt am zahlenden Gast. Da verlangt man völlig zurecht Spitzenleistung. Die kann aber von jungen Menschen nicht sofort erbracht werden. Dies bedarf sehr viel Training und auch Lebenserfahrung. Wenn ein Azubi in einer KFZ Werkstadt oder in einer Tischlerei Fehler macht ist das sicher ärgerlich, aber davon bekomme ich als Kunde nichts mit. In einem Friseursalon sofort. Und… Arbeitsstunden der Azubis landen mittlerweile wie selbstverständlich auf den Rechnungen aller Handwerker. Beim Friseur? Nop.

Politisch sind auch keine Veränderungen zu erwarten. Der Zentralverband hängt weiterhin stur an seinem dualen Ausbildungssystem ohne ernsthaft modernen Alternativmodellen eine Chance zu geben. Egal was in Politik-Talkshows gesagt wird, die Signale aus Berlin gehen weiterhin nur in die akademische Richtung. BAFÖG für Studenten? Ganz normal. BAFÖG für Auszubildende im Handwerk? Völlig undenkbar. Als unser studierender Sohn mit der Bahn von Bremen nach Hamburg fuhr, war das natürlich kostenlos. Wenn unsere Auszubildende von Farmsen in die Hamburger Meile fuhr, musste sie selbst schauen wie sie ihr HVV Ticket finanziert bekommt (haben wir übernommen). Gleiche Wertschätzung sieht anders aus.

Ach, ich könnte jetzt noch stundenlang weiter schreiben, so enttäuscht bin ich über diese politische, gesellschaftliche und brancheninterne Entwicklung. Aber es nützt ja nichts. Jammern hat noch nie geholfen. Wir konzentrieren uns jetzt voll auf unsere tollen Auszubildenden die noch bei uns sind. Beim Kick-Off Meeting 2024 werden wir uns mit dem Thema erneut beschäftigen und überlegen ob wir im kommenden Jahr die Pause fortsetzen, oder wieder mit viel Energie und Freude am 1. August 2024 neue Auszubildende bei uns begrüßen werden. Solch leere Stühle im Büro stimmen mich einfach traurig, besonders an einem 1. August.