„Sie können ja bei mir arbeiten“. Mit diesem Satz begann eine der ungewöhnlichsten Kooperationen im deutschen Friseurhandwerk.

2006 eröffneten wir unseren Ballindamm-Salon in der Hamburger Innenstadt, mit Blick auf den Jungfernstieg und die Alster mit Ihren weißen Alsterschiffen. Ein traumhafter Salon mit ebensolchen Ausblick. Das war früher so – und das ist heute so. Der Unterschied zu damals und heute ist, dass heute viele Hamburgerinnen und Hamburger unseren Salon im Herzen der Stadt kennen. Vor 14 Jahren war das völlig anders. Die ersten Monate taten wir uns wahnsinnig schwer. Das Team welches am Ballindamm arbeitet war damals wie heute erstklassig, aber dies war zu Beginn eines der bestgehüteten Geheimnisse der Stadt. Um es ganz positiv zu formulieren: Wir waren damals flexibel genug, jederzeit an jedem Tag, alle anfragenden Kunden sofort und ohne Wartezeit zu bedienen. Eine schwere Zeit mit so einigen schlaflosen Nächten.

In dieser Phase wurde ich von Wella angefragt, bei einem Business-Kongress in München einen Vortrag zu halten. Ich nahm den Auftrag an, flog in die bayrische Hauptstadt und hielt meinen Vortrag. Einer der Zuhörer war: Gerhard Meir. Nach der Veranstaltung stand ich gemeinsam mit Wella-Mitarbeitern und Gerhard Meir an einem Stehtisch zusammen. Ich kannte den Star-Friseur zuvor nur aus den Medien und von einigen Frisurenshows. Aus mehr als dem Wort „Hallo“ bestand unsere Kommunikation bis dahin nicht. Als wir da nun am Stehtisch standen, fragte mich Gerhard wo ich in Hamburg meine Salons habe. Ich sagte es ihm und er schwärmte sofort von Hamburg und von der Zeit die er dort verbracht hat, als er selbst noch einen Salon in Hamburg hatte. „Ach,“ endete seine Ausführung, „ich habe es immer genossen in Hamburg meine hanseatischen Kunden zu bedienen.“ Daraufhin sagte ich die oben geschrieben sechs Wörter.

Es war ein Spaß. Es war überhaupt nicht ernst gemeint. Aber Gerhards Augen funkelten. Wenige Tage später rief er mich an. Kurz darauf kam er in unseren Salon, schaute sich alles an – und dann dauerte es nur ein Mittagessen und die Kooperation stand. Was dann folgte, waren 10 (!) Jahre, in denen Gerhard Meir teilweise wöchentlich, teilweise 14-tägig von München nach Hamburg flog, um bei uns seine hanseatischen Kunden zu bedienen.

Ich habe Gerhard in mancherlei Hinsicht bewundert. Er lebte diesen Beruf mit Haut & Haar. Für ihn war der Friseurberuf wirklich Berufung. Ich habe es selbst erlebt, wie er 20, 25 oder gar 30 Kunden pro Tag (!) bediente. In den Dezembertagen vor Weihnachten waren es manchmal über 40 Kunden. Glauben Sie nicht? Verstehe ich. War aber so. Wie er das schaffte? Gerhard war unglaublich fleißig. Ja, „Fleiß“ charakterisiert Gerhard Meir sehr gut. Die meisten seiner Kunden hatten zwar Termine, aber das war eigentlich nicht wirklich wichtig. Er hat alle Kunden bedient die zu ihm wollten. Seine Devise war: „In between“ geht immer. Es wurde niemand weggeschickt.

Gerhard verfügte darüber hinaus über unglaublich viel Disziplin, ein extrem hohes Maß an Konzentration – und über ein fantastisches Team im Hintergrund, welches ihm am Ballindamm auf höchsten Niveau zuarbeitete! Legendär, wie Gerhard zu Beginn seiner Zeit bei uns manchmal im Salon pfiff, weil er es gewohnt war, dass bei einem Doppelpfiff vom „Meister Meir“ immer sofort jemand zu ihm geeilt kam. Das mag ja auch in München Alltag gewesen sein, jedoch bei uns in Hamburg funktionierte das nicht. Zunächst waren die Mitarbeiter irritiert. Dann pfiffen einige sogar zurück. Niemand kam. Verwirrung. Dann wurde herzlich gelacht – und anschließend arbeitete man Hand in Hand, aber auf Augenhöhe! Das hat wunderbar funktioniert.

Ich bin mir sicher, dass Gerhard Meir die Zeit bei uns am Ballindamm genossen hat. Hier konnte er das sein, was er im tiefsten Herzen war: Ein begnadeter Friseur! Alles andere wurde ihm abgenommen. War er im eigenen Salon auch für Arbeitspläne, Mitarbeiterentwicklung, Wareneinkauf, behördliche Auflagen, Buchhaltung etc. verantwortlich, so war er bei uns „einfach nur Friseur“. Er wurde morgens immer mit frischem Kaffe und einem geöffneten Duplo begrüßt – und dann startete die wilde Gerhard Meir Show am Ballindamm. Dass auch dann und wann der verbotene Aschenbecher reaktiviert werden musste… nun…. davon weiß ich offiziell nichts. Völlig unwahrscheinlich ist es jedoch nicht ?

Es waren alles in allem viele wunderbare Jahre. Es war eine vertrauensvolle und stets freundschaftliche Zusammenarbeit. Zum Schluß jedoch war Gerhard Meir immer öfter gesundheitlich angeschlagen. Man sah wie es ihm schwer fiel, all die Strapazen auf sich zu nehmen. Und dann eines Tages schauten wir uns in die Augen und wussten ohne viel zu sagen, dass auch diese Zeit nun ein Ende haben würde.

Als ich gestern vom Tod Gerhard Meirs erfuhr, war ich tief betroffen. Tom, ein Ballindamm-Mitarbeiter der intensiv mit ihm zusammen gearbeitet hat, schrieb mir: „Auf das es ihm da oben besser geht als hier unten.“ Und da ist was Wahres dran.

Auch wenn wir 10 gemeinsame Jahre verbracht haben, würde ich mich niemals als guten Freund bezeichnen. Bei aller Sympathie blieb es auch immer eine Beziehung auf Distanz. Beruflich hat Gerhard Meir definitiv seine Erfüllung gefunden. Dennoch war er auch ein Getriebener, der auf mich nur selten wirklich glücklich wirkte. Der Boulevard und die Münchner Schickeria-Szene waren für ihn Fluch und Segen zugleich. Es war ihm immer sehr wichtig Aufmerksamkeit zu erlangen, obwohl er meiner Einschätzung nach ein ehr stiller Mensch war. Gerhard Meir stand sehr oft unter Vollspannung und redete ohne Punkt und Komma – dennoch hatte ich immer das Gefühl, dass er im Grunde einen introvertierten Charakter hatte. Ich weiß, dass passt irgendwie nicht zusammen, aber ich bin mir sicher, ich liege da nicht völlig falsch. Die intensivsten Momente erlebte ich mit Gerhard, wenn er über Kunstausstellungen oder Architektur sprach. Dafür konnte er sich richtig begeistern. Ich glaube, wenn man Gerhard Meir vor die Wahl gestellt hätte, entweder eine ausgelassene Party in der Sansibar auf Sylt zu feiern, bei der auch die BILD vor Ort ist – oder sich eine Kunstausstellung von Max Beckmann oder Ernst Ludwig Kirchner anzuschauen, dann hätte Gerhard ohne großes zögern die Party in der Sansibar gewählt, obwohl sein Herz lieber die klassische, moderne Kunstausstellung besucht hätte. Warum das so war, warum er bis zum Schluss so ruhelos war – das werde ich nun nicht mehr erfahren. Meiner Einschätzung nach hat Gerhard Meir ein aufregendes Leben gelebt, hatte viel Erfolg und wurde berechtigt von sehr vielen Stylisten aus aller Welt bewundert – und dennoch, befürchte ich, war er oftmals kein wirklich glücklicher Mensch.

Ich verneige mich vor dem Kollegen Gerhard Meir. Ich bin dankbar und froh über das Privileg, mit einem der herausragendsten und prägendsten Friseure Deutschlands viele Jahre zusammen gearbeitet zu haben. Im Namen meiner Frau, meines Vaters, des Ballindamm-Teams, sowie allen aktuellen und ehemaligen Mitarbeitern die mit Gerhard zusammen arbeiteten, wünsche ich seiner Familie und allen engen Freunden von Gerhard Meir in diesen schweren Tagen ganz viel Kraft. Ich bin mir sicher, Gerhard wird auch dort oben seinen berühmten Doppelpfiff pfeifen – und wird sofort jemanden finden um gemeinsam Seite an Seite zu stehen. Es sei ihm aus tiefsten Herzen gegönnt.

Herzlich, Lars Nicolaisen