Offener Brief an den Zentralverband

Lieber Zentralverband des deutschen Friseurhandwerks (ZDFH), ich glaube wir müssen reden.

In den letzten Tagen und Wochen wurde ich gleich zu mehreren Gesprächsrunden eingeladen, in denen sich Menschen trafen, die in unterschiedliche Bereichen unseres Berufes arbeiten (Selbstständige, Mitarbeiter, Ausbilder, Lehrer, Angestellte der Fachindustrie), um über die Zukunft unseres Berufes zu diskutieren. Der Frust ist groß, die Angst geht um. Immer weniger Menschen wollen unseren wunderschönen Beruf erlernen. 40% der jungen Menschen die eine Friseurausbildung beginnen, brechen innerhalb der ersten sechs Monate ab. Wie diese Entwicklung bereits jetzt unseren Beruf verändert und weiterhin verändern wird, brauche ich hier sicherlich nicht zu erläutern. Sie wissen es.

Ich ganz persönlich betrachte diese Entwicklung mit gemischten Gefühlen. Als Privatperson und Teil dieser Branche empfinde ich diese Entwicklung dramatisch schlecht, äußert kritisch und darüber hinaus auch noch absolut unverständlich. Die Beautybranche generiert gerade unglaubliche Umsatzzuwächse – nur der Friseurberuf nicht? Das kann doch nicht wahr sein! Als Unternehmer sehe ich für unsere Salons zwar ebenfalls starke Herausforderungen – aber auch Chancen. In Zukunft wird es in Hamburg immer weniger gute Friseure geben. Es wird aber in einer 1,8 Millionenstadt wie Hamburg nicht weniger Nachfrage nach guter Friseurdienstleistung geben. Wer auf Qualität setzt, wird gewinnen. Die Bereitschaft der Hamburger Kunden, für eine sehr gute Dienstleistung auch angemessen zu bezahlen, wird weiter steigen. Dadurch werden die Löhne und die Rahmenbedingungen für unsere Mitarbeiter steigen. Die Attraktivität unserer Salons wird steigen – ebenso wie das Anforderungsprofil um bei uns ein Teil des Teams zu werden. Jeder muss sich bewegen, jeder muss an sich arbeiten – damit am Ende jeder gewinnt. Mitarbeiter, Kunde… und das Unternehmen.

Doch nicht jeder Friseur hat seinen Salon in einer 1,8 Millionenstadt. Nicht jeder Friseur konnte in den letzten Jahren seine internen Qualitätsstandards den heutigen Zeiten anpassen. Viele Kollegen erhalten seit Monaten nicht einige einzige Bewerbung mehr, weder als Friseur noch als Azubi. Hier bedarf es Hilfe von außen. Hilfe von Menschen und Einrichtungen, die unsere Branche repräsentieren und verantwortlich für die Rahmenbedingungen sind. Und an diesem Punkt kommen wir zu den Innungen, Verbänden und besonders zum ZDFH.

Bei all den Runden an denen ich in den letzten Wochen teilgenommen habe, wurde auf den ZDFH geschimpft. Unbeweglich. Stur. An Traditionen festhaltend. Politisch motiviert – aber nicht branchenorientiert. Es wurde geschimpft was das Zeug hält. So weit, so erwartbar. Das verrückte ist jedoch jedes Mal gewesen, dass je länger die Diskussionen andauerten, plötzlich immer besser differenziert wurde. Nachdem der erste Ärger verraucht war, wurde immer auch Verständnis signalisiert. Das deutsche und europäische politische Geflecht ist sicherlich auch hoch komplex und kompliziert. Es wurde dann oft auch das Ehrenamt gelobt und immer wieder wussten Kolleginnen und Kollegen zu berichten, dass man auch Personen aus den unterschiedlichen Ausschüssen kennt. Der Tenor war dann immer der gleiche: Die, die sich da in den Verbänden engagieren, sind größtenteils alles „leidenschaftliche Friseure“. Und das war dann immer der Augenblick an dem ich meine Hand hob und den jeweiligen Diskussionskreis fragte, wie ich das jetzt verstehen soll. Angeblich werden im ZDF und in den Ausschüssen (zB im Prüfungsausschuss) nur Fehler produziert und es wird alles falsch gemacht was man nur falsch machen kann – aber ein paar Minuten später wird respektvoll über die darin befindenden Menschen gesprochen und oftmals auch deren Engagement gelobt. WIE PASST DAS ZUSAMMEN?

Ich würde zu gern verstehen, warum sich unsere Branchenvertreter anscheinend mittlerweile so weit vom „hier und jetzt“ entfernt haben und augenscheinlich in ihrer eigenen „Blase“ leben, obwohl ihnen oftmals auf der persönlichen Ebene viel Respekt entgegengebracht wird. Vielleicht wäre es mal an der Zeit persönliche Befindlichkeiten auf „Null“ zu stellen und neu durchzustarten. Wir benötigen Branchenvertreter in den höchsten Gremien, die nicht nur Traditionen bewahren wollen (etwas wofür ich sehr hohe Sympathien empfinde), sondern die auch bereit sind unbequem zu sein, bereit sind ins Risiko zu gehen und neue, zukunftsweisende Pfade zu betreten.

Es ist sicherlich an der Zeit viele Steine umzudrehen. Lassen Sie mich bei diesem offenen Brief jedoch nur einmal bei einem einzigen Thema etwas genauer hinschauen: Mangel an Mitarbeiter und Auszubildenden.

Unsere Mitarbeiter und Azubis sind Dienstagfrüh nicht erschüttert von den Bildern der ausgebrannten Notre Dame überrascht worden. Aber nicht weil sie das nicht emotional berührt hat, sondern weil sie das brennende Kulturgut bereits Montagabend auf Instagram, Snapchat oder Periscope im Livestream verfolgten, in den sozialen Netzwerken ausgiebig diskutierten und Dienstagfrüh die ausgebrannte Notre Dame schon ein alter Hut war. 12 Stunden nach dem Brandausbruch war das schon wieder eine alte Geschichte. Das ist die Welt in der wir heute leben. Diese Generation ist wahnsinnig schnell. Sie ist mit mobiler Digitalisierung aufgewachsen. Und wenn man darauf besteht, dass für diese schnelllebige Generation fast die selben Ausbildungsplatz-Rahmenbedingungen gelten sollen wie zu meiner Zeit in den 80ern, dann wird man scheitern. Und das erleben wir gerade. Natürlich hat sich seit meiner Ausbildung 1984 zu heute 2019 sehr viel in Detailbereichen der „Ausbildung“ getan. Aber das sehen nur Menschen, die seit dem mit dem Thema vertraut sind und immer versucht haben an kleinen Stellschrauben zu drehen. Natürlich hat man heute im Vergleich zu „damals“ einige Flexibilitäten eingebaut. Das stelle ich ja gar nicht in Frage. ABER ES REICHT NICHT!

Gibt es nicht die Chance, gibt es nicht den Willen einmal WIRKLICHE VERÄNDERUNGEN anzustoßen? Wieso wird nicht ein Weg aufgezeigt, der diese wunderschöne Branche deutlich attraktiver erscheinen lässt? Mit einem Ausbildungskonzept welches in die heutige Zeit passt. Mit modernen, transparenten, neuen Wegen, wie man in diese Branche neben einer klassischen Ausbildung eventuell auch noch zusätzlich einsteigen könnte. Es darf nicht mehr ausschließlich darum gehen Ausbildung zu organisieren. Es muss auch darum gehen Menschen für den Friseurberuf zu begeistern und neben klassischen, auch moderne Qualitätsstandards festzulegen und zuzulassen.

Ich möchte keine Rechtfertigung hören warum das Bild des ZDF beim größten Teil der Branchenteilnehmer so kritisch ist. Ich suche keine Schuldigen! Ich möchte „verstehen“. Und ich wünsche mir, dass nach Lösungsansätzen gesucht wird. Wie könnte es unsere Branchenlobby schaffen den politischen Einfluss zu stabilisieren oder sogar möglichst zu erhöhen, aber gleichzeitig Rahmenbedingungen für Auszubildende und Mitarbeiter zu schaffen die nicht den Charme der 80er Jahre haben? Wie könnte man die tollen und engagierten Menschen in Innungen und Verbänden, die soviel Lebenszeit ehrenamtlich für unsere Branche opfern, zeitgemäßer und erfolgsversprechender einsetzen? So, dass ihnen wieder viel mehr Lob und eine breite Zustimmung innerhalb der Branche garantiert wird. Es geht nur miteinander!

Mir ist schon klar, dass nicht jeder der das hier liest sofort „Hurra“ schreit. Und so lange zB Prüfer nicht in Balayage, Calligraphy Cut & Co geschult sind und solche modernen Techniken (neben den klassischen Techniken) bei Prüfungen bestehen können, so lange werden wir sicherlich hitzige Diskussionen führen. Doch für ewige Diskussionen fehlt uns die Zeit. Es ist nicht 5 vor, es ist 5 NACH 12. Es muss der grundsätzliche Wille da sein unseren Beruf deutlich attraktiver und zukunftssicherer zu machen. Und das möglichst jetzt und nicht erst im Jahr 2040. Damit das gelingt, muss sich jeder bewegen. Jeder! Die Friseure. Die Industrie. Die Innungen & Verbände. Und der Zentralverband. Wer weiterhin versucht Besitzstandswahrung zu betreiben, wird selbigen verlieren. Davon bin ich fest überzeugt.

Über Reaktionen und Feedback freue ich mich. Bitte hierfür entweder die hier im Blog öffentliche Kommentarfunktion nutzen oder folgende E-Mail Adresse verwenden: office@nicolaisen-hamburg.de Betreff: „Wir müssen reden“

Mit herzlichen Grüßen – Lars Nicolaisen

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DANKE TINA

11 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

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