Mindestlohn für Azubis – ein klassisches Eigentor

Gestern beschloss der Bundestag einen „Mindestlohn für Azubis“. Ich denke hierzu muss ich heute etwas schreiben. Es wird politisch und könnte ein wenig länger werden. Bitte vor dem weiterlesen den Kaffee nicht vergessen.

Grundsätzlich finde ich es natürlich sehr gut, wenn junge Menschen mit dem Beginn ihrer beruflichen Ausbildung gleich auch eine wertschätzende Ausbildungsvergütung erhalten. Ich denke da kann es ja eigentlich keine zwei Meinungen geben. Das ist toll für die Auszubildenden – aber es ist leider auch eine politische Entscheidung, an welcher einige Berufsgruppen schwer zu knabbern haben werden.

Erst einmal die Fakten:

Ab dem kommenden Jahr sollen Auszubildende im ersten Lehrjahr für ihre Tätigkeit in Betrieben mindestens 515 Euro Gehalt im Monat bekommen. Der Betrag wird in den folgenden Jahren schrittweise weiter erhöht auf bis zu 620 Euro monatlich im ersten Lehrjahr. Auch im zweiten und dritten Ausbildungsjahr gibt es mehr. Ab 2024 soll der Azubi-Mindestlohn dann automatisch mit der Entwicklung der Lehrlingsgehälter steigen. Die Bundesregierung will mit ihrem Gesetz die Berufsausbildung attraktiver machen und Abbrecherquoten in der Ausbildung verringern. Der Bundesrat muss der Reform noch zustimmen.

Spiegel Online

Das klingt im ersten Moment ja gar nicht mal so schlecht, doch bei genauem Hinsehen stellen sich mir da schon ein paar Fragen. Ich frage mich zB ob die hohe „Abbrecherquote“ so hoch ist, weil Azubis heute zu wenig verdienen. Also bei uns Friseuren ist nach meinem Kenntnisstand die Abbrecherquote sehr hoch. Von 100 Azubis die eine Friseurausbildung beginnen, machen nur noch 30 eine Gesellenprüfung. 70% hören vorzeitig auf. Als Grund wird oft die Unzufriedenheit mit der Ausbildung genannt. In vielen Betrieben wird anscheinend nicht wertschätzend & professionell ausgebildet. In den Berufsschulen ist das Lernniveau Deutschlandweit oftmals extrem niedrig und besonders Auszubildende mit einer höheren Schulbildung fühlen sich unterfordert und „falsch am Platz“. Geld mag sicherlich auch ein Faktor sein weswegen man eine Berufsausbildung abbricht, aber ist es wirklich der wichtigste Baustein um das Ausbildungsniveau und das Image zB des Handwerks zu verbessern?

Gut 2.000 Friseursalons gibt es in Hamburg. Keine 20% davon bilden noch aus. Wir bei „Nicolaisen“ haben aktuell 10 Auszubildende. Jede einzelne Auszubildende kostet mich 970,00 Euro (also knapp 1.000,00 Euro) im Monat. Das sind nur die realen Kosten wie zB Ausbildungsvergütung, Versicherungen, Arbeitgeberanteil, Berufsschule, staatlich vorgeschriebene überbetriebliche Ausbildung. Würde ich jetzt noch zB meine Kosten für die beiden Ausbilder und den Umsatzausfall hinzurechnen (wir bilden nicht „nach Feierabend“ aus, sondern wöchentlich während unserer Öffnungszeiten, in denen die Ausbilder logischer Weise keine eigenen Kunden bedienen können), wäre ich bei deutlich über 1.000,00 Euro. Ebenfalls könnte ich jetzt noch Produktverbrauch, Trainingsmaterialen ect. aufzählen, aber belassen wir es einmal bei der Summe von 1.000,00 Euro. Aktuell beschäftigen wir 10 Auszubildende. Das bedeutet jeder Monat beginnt für mich schon einmal mit 10.000,00 Euro Kosten allein nur für die Ausbildung. Jeder einzelne Monat. Das sind 120.000,00 Euro pro Jahr.

Jetzt erhöhen sich die Ausbildungsvergütungen ab 2020. Diese Mehrkosten können wir als Familienunternehmen einfach nicht mehr stemmen, wir sind jetzt schon an einer absoluten Schmerzgrenze angekommen. Bedeutet im Umkehrschluss: Wir werden ab kommenden Jahr weniger freie Ausbildunsplätze zur Verfügung stellen und somit Schrittweise unsere Anzahl an Auszubildenden reduzieren. Mir bekannte Kolleginnen und Kollegen stehen vor der gleichen Herausforderung und überlegen zukünftig entweder ebenfalls weniger Auszubildende aufzunehmen – oder gar nicht mehr auszubilden. Aus vielen Gesprächen mit sogenannten „kleinen Salons“ höre ich schon heute, dass man eigentlich gern ausbilden würde, sich dies aber bereits unter den aktuellen Bedingungen einfach nicht leisten kann. Somit ist diese Entscheidung des Bundestages zumindest für die Friseurbranche kein gutes Signal, da es zur Folge hat, dass noch weniger ausgebildet, und somit der „Fachkräftemangel“ weiter an Dynamik gewinnen wird.

Im Artikel des Spiegels stand noch etwas interessantes:

Im Osten und in bestimmten Berufen, zum Beispiel als Friseur, bekommen Lehrlinge bislang besonders wenig Geld. Die Gewerkschaft IG Bau begrüßte den Mindestlohn zwar – 515 Euro im ersten Ausbildungsjahr sei allerdings noch „deutlich zu wenig“. Hier müsse der Gesetzgeber nachlegen.

Spiegel Online

Hier kann man einen weiteren Webfehler im System erkennen. Ich kenne mich mit den Berufssparten welche die IG Bau vertritt nicht aus, aber ich denke hier werden völlig unterschiedliche Berufe in einen Topf geworfen – leider auch bei den Redakteuren von Spiegel Online. Man sollte bitte unterscheiden, in welchen Ausbildungsberufen Azubis bereits produktiv für ein Unternehmen arbeiten können – und in welchen nicht. Ob auf dem Bau, beim Maler, beim Elektriker oder in der KFZ Werkstatt: Ich als Endverbraucher/Kunde sehe nicht wer Geselle und wer Auszubildender ist. Mir wird am Ende eine Rechnung präsentiert. Auf dieser sind dann meistens die Arbeitsstunden des Meisters, des Gesellen und des Azubis aufgelistet – und das muss ich begleichen. Das ist anders als in unserem Beruf. Da arbeitet man nicht an einer Wand, einer Steckdose oder an einem Motor, sondern immer direkt am zahlenden Kunden. Und gerade in hochwertigen Salons wollen die Kunden (verständlicher Weise) nur die absoluten Profis an sich ranlassen. Hier können Azubis also gar nicht groß produktiv mitarbeiten. Meistens assistieren sie. Das hilft den Stylistinnen und Stylisten im Alltag enorm – aber am Ende zahlt eine Kundin immer nur pro Dienstleistung und nicht pro Stylist und Assistent. Somit muss man als Friseur-Ausbildungsbetrieb auch immer viel Idealismus besitzen und sich Ausbildung „leisten wollen“. Billiger wäre es für uns sicherlich mit reinen Assistenten zu arbeiten. Die sind 40 Stunden die Woche da und müssen auch nicht zur Berufsschule oder zur ÜBA. Ich spare Zeit und Geld, da ich zB auch keine Friseurmeister für die Ausbildung mehr benötige. Die Dienstleistungsqualität für unsere Kunden wäre mit antrainierten Assistenten definitiv genau so hoch wie heute.

Wenn ich also solche Sätze wie die gestern auf Spiegel Online lese, dann bekomme ich immer den Eindruck, dass die Gesellschaft denkt, das Auszubildende für Betriebe nichts anderes als billige Arbeitskräfte sind und ein Teil des Geschäftserfolges auf dem Rücken der armen jungen Menschen erzielt wird. Das Gegenteil ist bei uns Friseuren der Fall! Und es tut mir persönlich ehrlich gesagt ziemlich weh, wenn bei der Diskussion bezüglich Anhebung der Ausbildungsvergütung der Eindruck erweckt wird, dass diese „Ausbeuter von Ausbilder“ endlich mal ihre Lehrlinge besser bezahlen müssen…

Ich bin gern Friseur. Ich wäre nicht gern Politiker. Viele Themen sind sehr komplex und dies alles bei politischen Entscheidungen immer berücksichtigen zu müssen, ist bestimmt eine extrem fordernde und nervenaufreibende Aufgabe. Insofern mache ich den Politkern die gestern im Bundestag für die Anhebung gestimmt haben auch gar keinen Vorwurf. Sie wussten es sicherlich nicht besser. Dies wiederum ist wahrscheinlich auch darin begründet, dass es kaum noch Abgeordnete im Bundestag gibt, die selbst eine klassische Ausbildung absolviert haben… Aber hier kommen unsere branchenpolitischen Vertreter ins Spiel. Wo ist unsere Lobby? Wieso werden wir nicht gehört? Egal ob Vertreter unseres Berufsstandes in Berlin oder bei den entsprechenden Ministerien vorstellig waren oder nicht – am Ende war es nicht erfolgreich und die Konsequenzen werden schnell sichtbar werden. Leider weder zum Wohle des Friseurberufes noch für diejenigen junge Menschen, die zukünftig gern in diese faszinierende Beautybranche gehen möchten und immer weniger Ausbildungsstellen finden werden.

Mindestlohn für Azubis – so etwas nennt man dann wohl zumindest für die Friseurbranche ein klassisches Eigentor.

Herzlich – Lars Nicolaisen