Mein Blick auf die Europawahl 2019

Dies ist eine Grafik, der man Aufmerksamkeit schenken sollte. Sie zeigt, wie die unter 30-Jährigen bei der Europawahl 2019 abgestimmt haben. Egal wo man politisch steht, so ist es doch mehr als nur erfreulich festzustellen, dass die junge Generation wieder politischer geworden ist. Warum das so ist weiß ich nicht (ich bin Friseurmeister und kein Politikwissenschaftler), aber ich habe beim Blick auf die Grafik an einen Artikel gedacht, welchen ich gestern Vormittag auf „Spiegel Online“ gelesen habe:

Auf die Frage an Angela Merkel, wann in Deutschland endlich eine CO2 Steuer eingeführt wird, antwortete diese, dass sie zuversichtlich sei, dass die Automobilindustrie demnächst das „Drei-Liter-Auto“ auf den Markt bringen werde. Die Firmen wüssten ja, „dass ansonsten härtere Maßnahmen auf sie zukämen“.

Diese Aussage entstammt aus einem Tagesschau-Interview….. vom 2. April 1998 ???? (Quelle: Spiegel). Wie peinlich, oder?

Egal ob man FÜR oder GEGEN eine CO2 Steuer ist, so zeigt dieses Beispiel gleich mehrere Ärgernisse sehr gut:

  1. Die Politik der letzten Jahrzehnte, egal mit welchem Kanzler oder welcher Kanzlerin, hat ihren Fokus nicht auf die Themen gesetzt, die heute vielen Menschen (und vor allem der Jugend) wichtig sind.
  2. Es zeigt, dass oftmals Konsequenzen angedroht, aber nicht umgesetzt werden. Und da ist KLIMA ja nur ein Beispiel. Steuergerechtigkeit, Entlastung des Mittelstandes,…. es gäbe wirklich sehr viele Beispiele bei denen die Reden der Politiker der “ großen Volksparteien“ besser klangen als das, was am Ende umgesetzt wurde. 
  3. Prozesse dauern zu lange. Ich finde es ja grundsätzlich lobenswert wenn Politik nicht nach Schnelligkeit strebt, sondern überdacht und nachhaltig betrieben wird. Doch die Tatsache, dass bereits 1998 die Frage nach einer CO2 Steuer im Raum stand, und es 21 Jahre (!) später weder eine solche gibt, noch die Industrie Konsequenzen für klimafeindliches Wirtschaften befürchten musste, ist eine politische Bankrotterklärung. 
  4. Dieser Fall zeigt für mich auch eindeutig, wie erfolgreich Lobbyismus in Deutschland betrieben wird. Dieses Gefühl von „Die da oben“ und „wir da unten“ nimmt immer mehr zu. Denken wir zurück an 2008 und an die Bankenkrise. Wir, die Steuerzahler, sind für den unmoralischen Sumpf eingesprungen den Banken und Spekulanten mit der Gier nach Reichtum, Macht und Luxus verursacht haben. 10 Jahre später werden im Bankenwesen wieder fürstliche „Erfolgesprämien“ ausgezahlt und ungeniert über den Wegfall von 10.000 Arbeitsplätzen philosophiert, wäre die Fusion zwischen Deutscher- und Commerz-Bank realisiert worden. Oder nehmen wir „Dieselgate“. Bitte vergesst nie, dass die Grenzwerte von der EU-Kommission schon 1999 (!) vorgeschlagen, beraten und Jahre später entschieden wurden. Die Automobilindustrie, und vor allem die deutsche Automobilindustrie, hatte genügend Zeit sich darauf einzustellen und nach Recht und Gesetzt zu handeln – so wie es jeder von uns auch tut. Hat sie aber nicht. Sie hat weiter auf Gewinnmaximierung gesetzt, Gesetzte und Vorschriften wissentlich missachtet, ihre treuen Kunden belogen und betrogen – und will jetzt noch nicht einmal für den Schaden aufkommen. Weder politisch noch bei ihren Kunden. Ein Wahnsinn! Und die Politik schaut zu und macht so gut wie nichts. Es gibt keine Konsequenzen. Nochmals ein Wahnsinn! „Lobbbyarbeit“ ist nicht grundsätzlich etwas schlechtes, aber so wie es sich in Deutschland verselbständig hat, ist es beschämend und wird nun abgestraft. Wundert mich nicht.

Diese junge Generation, die Aufgrund der völlig selbstverständlichen und gelebten Digitalisierung solche Aussagen schnell überprüfen kann und schnell merkt, dass in der Vergangenheit viel zu oft Wasser gepredigt und Wein getrunken wurde, nimmt dies nicht mehr hin, wendet sich von dieser Art der Politik ab und hat somit völlig andere Erwartungen an die politische Führung. Gestern Abend hat Armin Laschet bei Anne Will gesagt, dass die CDU die Partei für besseres Klima ist, dies aber leider im Wahlkampf nicht gut kommuniziert hat…. Mich wunderte, dass weder er noch die Gäste der Talkrunde anschließend in schallendes Gelächter ausgebrochen ist.

Was die Grünen jetzt daraus machen werden, wird man sehen. Sicherlich nicht ohne Grund hat Robert Habeck gestern in der ARD in seinem ersten Statement kurz nach 18:00 Uhr gesagt, dass dies Ergebnis nicht nur eine große Verantwortung ist, sondern die Grünen damit auch erst einmal lernen müssen richtig umzugehen. Wohl wahr. Die Grünen haben aus meiner Sicht den Vorteil, dass ihre beiden Parteiführer sowohl sympathisch & authentisch rüberkommen, als auch über intellektuelle Ausstrahlungskraft verfügen, ohne dabei jedoch unverständlich, unnahbar oder gar arrogant zu wirken. Ich denke diese Eigenschaften, gepaart mit der Kompetenz beim mittlerweile Mainstream-Thema „Klima“, macht diese Anziehungskraft bei den unter 30-Jährigen aus. Es ist eine Chance für einen neuen Politikstil in Deutschland. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Übrigens: Das nicht alle jungen Wähler die gleiche Meinung haben wie bekannte YouTube-Stars, zeigt die Tatsache, dass die CDU bei jungen Wählern die zweitstärkste Kraft geworden ist – wenn auch mit extrem großen Abstand zur Nummer 1. Das die FDP sich sichtbar vor der AfD behaupten kann, ist erfreulich und spricht für Liberalität und Wirtschaftsinteresse bei Jungwählern. Auch das ist ein gutes Zeichen am gestrigen Abend.

Und die SPD? Mein ganz persönlicher Eindruck ist der, dass viele Themen der Sozialdemokraten eigentlich recht gut in die Zeit passen. Das größte Problem der einst so stolzen Partei ist, dass ihnen eine Sympathieträgerin bzw. ein Sympathieträger fehlt. Es bräuchte charismatische Typen und jüngere Menschen an der Spitze der Partei, die die politischen Ziele besser „verkaufen“ können. Und sie sollte Standhaft bei den Themen bleiben die ihr wichtig sind. Sicherlich der größte Fehler der jüngeren Vergangenheit war der Entschluss doch noch einmal eine GroKo zu bilden.

Ich finde es großartig, dass die Wahlbeteiligung so stark angestiegen ist. Es würde mich nicht wundern, wenn wir in den kommenden Tagen lesen würden, dass die hohe Wahlbeteiligung auch damit zusammen hängt, dass wieder viel mehr junge Bürger vom Wahlrecht gebrauch gemacht haben. Wo wir wieder am Anfang meines Beitrages und bei dieser Grafik wären… 

Abschließend dieses langen Beitrages möchte ich zum einen erwähnen, dass ich mir schon bewusst bin dass dies ein Blog eines Friseurs ist und ich möglichst „Beruf“ und „Politik“ trennen sollte. Stimmt, aber ich denke es ist manchmal auch wichtig politische Gedanken öffentlich zu äußern. Und wer den Text aufmerksam gelesen hat, der hat hoffentlich bemerkt, dass mir politische Vielfalt wichtig ist und ich sehr viele politische Meinungen und Parteien respektiere. Ausnahme sind nur extreme Parteien, egal ob extrem rechts oder extrem links. Es gab und gibt für mich übrigens keine Partei die ich immer wähle. Bei mir geht es immer um die Inhalte bei der jeweiligen Wahl. Ich verbringe vor jeder Wahl so einige Abende bei Wahlkampfveranstaltungen unterschiedlicher Parteien, lese viel und gleiche meine aktuellen Wünsche und Erwartungen an die Politik mit den jeweiligen Aussagen der Parteien ab. Und ich schaue mir immer ganz genau die Spitzenkandidaten an und versuche mir ein Bild von deren Glaubhaftigkeit, Standhaftigkeit und deren Durchsetzungsvermögen zu machen. Das alles führt bei mir dann zu der Entscheidung bei welcher Partei ich mein Kreuz mache. Das war immer so, das war gestern so – und das wird auch zukünftig so bleiben.

Herzlichst – Lars Nicolaisen