Wenn man erstmals zu einem neuen Friseur geht und nicht zufrieden ist, kann ich verstehen das man beim nächsten Mal einen anderen Friseur aufsucht. Was ich jedoch noch nie verstanden habe und wohl auch nie verstehen werde sind Kunden die jahrelang (!) glücklich und zufrieden mit „ihrem“ Friseur sind, wo immer erstklassige Arbeit abgeliefert wurde – und dann geht mal ein Besuch voll in die Hose, schlechte Farbe, schlechter Schnitt – und man schimpft auf den Friseur und sucht sich sofort einen neuen Friseur. Verlangen wir tatsächlich von unserer Umwelt immer absolute Perfektion (außer natürlich von uns selbst)? Sind alte Verdienste und jahrelang sehr gute Arbeit nichts mehr wert?

Seit 2006 ist Joachim Löw verantwortlich für die deutsche Nationalmannschaft. Alle zwei Jahre ein großes Turnier. Europa- und Weltmeisterschaften. Mit Joachim Löw kamen wir immer (!) unter die letzten vier Teams. Wir standen in mehreren Finalspielen und wurden bei der letzten WM sogar Weltmeister! Bei der diesmaligen Qualifikation zur WM in Russland stellte die deutsche Nationalmannschaft einen Rekord auf und gewann alle 10 Spiele. Im letzten Sommer hat Joachim Löw mit einer jungen Mannschaft den Confed Cup gewonnen. Löw, sein Trainerteam und seine Spieler haben über 10 Jahre auf absoluten Weltniveau gespielt und wir Fussballfans haben ihnen so viele, wundervolle Erlebnisse zu verdanken.

2018 war der Wurm drin. Schlechte, seelenlose und vor allem leidenschaftslose Auftritte. Das war vor dem Turnier so – und das zog sich durch das ganze Turnier. Anscheinend ging es dem Nationalteam wie vielen von uns. Irgendwie wollte der Funke der Begeisterung für die WM in Russland nicht so wirklich zünden. Alles wirkte verkrampft. Sowohl die Fahnen auf den Autos als auch die Interviews der Spieler im Fernsehen. Ja, das war am Ende eine katastrophale Leistung. Deutschland scheidet erstmals in der Vorrunde einer WM aus. Als Gruppenletzter. Verdient.

Das man die letzten Wochen und Monate kritisieren darf steht ja außer Frage. Und selbstverständlich darf auch die Frage gestellt werden, ob ein neuer Trainer, ein neuer Führungsstab und ob neue Spieler für die nächsten Aufgaben erfolgsversprechender sind. Es wäre fahrlässig würde man die Auftritte der deutschen Mannschaft im gesamten Kalenderjahr 2018 nicht kritisch und ergebnisoffen hinterfragen. Aber…

…wie jetzt auf Löw, auf Spieler und auf die gesamte Mannschaft in der Öffentlichkeit und in den sozialen Medien draufgeschlagen wird, ist unter aller Sau. Ich meine es genau so wie ich es schreibe.

Die Verhältnismäßigkeit wird völlig außer acht gelassen. Es ist ein Spiegelbild unserer heutigen Gesellschaft. Auf all die positiven guten Dinge wird im Moment der Enttäuschung nicht mehr geschaut. Es werden Köpfe gefordert. Am liebsten geteert und gefedert. Das sich all diese Menschen nicht schämen… Aber wir sehen das ja auch in so gut wie allen Teilen unseres Lebens. Beispiel Politik: Bloß immer feste draufhauen bei den Themen die von der Regierung falsch gemacht werden. Am besten gleich Demos organisieren und der Wut freien Lauf lassen. Alles was jedoch gut funktioniert und das Leben in unserem Land so viel lebenswerter macht als in 95% aller anderen Länder auf dieser Welt, wird ausgeblendet. Wut auf Merkel. Wut auf Löw. Wut. Wut. Wut. Wahnsinn in welcher Zeit wir gerade leben.

Ja, ich finde es schade dass wir ausgeschieden sind. Aber es war verdient. Das kann ich sportlich akzeptieren. Ja, ich bin dafür zu gucken wie es mit der Nationalmannschaft weiter gehen soll. Kritik darf sein. Kritik muss sein. Und ob man anschließend am Trainer festhält oder nicht, muss man dann sehen. Davon völlig unabhängig bin ich jedoch dankbar für die Zeit zwischen 2006 und 2018, wo ich so viele tolle Momente als Fussballfan erleben durfte.

Abschließend ein Gruß an meine fussballverrückten Friseurfreunde. Lest Euch noch einmal meinen ersten Absatz durch bevor Ihr die große Kritik-Keule rausholt 😉

Herzlichst, Lars Nicolaisen