1:5 gegen Sandhausen

Eigentlich wollte ich heute am Montagmorgen unsere Kunden darüber informieren, wie wir in den Salons ab dem 1. Juli 2020 mit der reduzierten Mehrwertsteuer umgehen werden. Das war der Plan. Der muss jedoch um 24 Stunden verschoben werden, denn natürlich ist es mir heute als HSV Fan wichtig, einmal öffentlich Stellung zum Herzensclub zu beziehen. Langjährige Blog-Leser wissen um meine Schwäche.

1:5 gegen Sandhausen.

Sandhausen ist eine Gemeinde in Baden-Württemberg. 15.000 Einwohner. Die Vorwahl lautet 06224. Der dortige Fussballverein heißt „SV Sandhausen“ und hat 918 Mitglieder. Das Stadion heißt „Hardtwaldstadion“ und hat genau so viele Zuschauerplätze wie Sandhausen Einwohner hat. Soll ich noch mehr erzählen?

Manche in Hamburg glauben immer noch der HSV ist der „große HSV“, weil wir vor gut 40 Jahren mal eine ganz heiße Nummer im europäischen Fussball waren. Das war der FC Bayern damals auch. 2020 kommen die Angstgegner der Bayern weiterhin aus Manchester, Barcelona und Madrid. 2020 kommen die Angstgegner des HSV aus Osnabrück, Kiel und… Sandhausen. Noch Fragen?

Viele Fans sind verzweifelt. In den den letzten 20 Jahren wurde nicht nur jeder Stein umgedreht und ausgetauscht, sondern auch unzählige Spieler, Trainer, Sportchefs, Vorsitzende und sogar Gesellschaftsformen und Stadionnamen. Und was hat es alles genutzt? 1:5 gegen Sandhausen und Platz 4 in der 2. Fussballbundesliga.

Stellt sich die Frage: Was nun? Woran liegt es, dass der HSV seit Jahrzehnten (!) nicht auf die Füsse fällt? Spieler, Trainer und Verantwortliche kommen und gehen. Fans bleiben. Womit haben es eigentlich die HSV Fans verdient, seit so ewig langer Zeit Spott und Häme ertragen zu müssen? Was sollte sich ändern damit sich auch in Hamburg-Stellingen endlich wieder Erfolg einstellen kann? Aus meiner Sicht zwei Dinge:

MENTALITÄT! Alle die sich für Fussball interessieren, sollten sich auf „Amazon Prime“ einmal die Dokumentation über „Schweinsteiger“ anschauen. Das ist keine gute Doku im klassischen Sinne. Da wurde kein großer journalistischer Aufwand betrieben. Es ist mehr ein Film von Fans für Fans. Ist der Film deswegen belanglos? Mit Sicherheit nicht, denn ob ehemalige Weltstars oder auch unbekannte Nachwuchstrainer – es kommen sehr viele FC Bayern Weggefährten des Bastian Schweinsteiger zu Wort. Und alle, ALLE (!), haben dieses Selbstverständnis unbedingt erfolgreich sein zu wollen! Es ist die „Geilheit auf Erfolg“, die diese Menschen verbindet. Der HSV hat solch ein Selbstverständnis noch nicht einmal im Ansatz. Viele Jahre war es bekannt, dass man beim HSV gutes Geld verdienen kann, ohne dass zu viel eingefordert wurde. Die Fans feierten sogar einen Klassenerhalt mit einem Platzsturm… Hier muss angesetzt werden. Wir benötigen eine veränderte Kultur im Verein. Dem Erfolg muss alles untergeordnet werden. Wir brauchen Menschen die 100% gewinnen wollen. Natürlich will jeder Fussballer gewinnen, ist ja klar. Aber es gibt da diesen Unterschied zwischen „wollen und wollen“. Wir benötigen Typen in der Geschäftsführung, auf den Trainerposten und auf dem Feld, die UNBEDINGT gewinnen wollen. Die das nicht nur sagen, sondern die das auch zeigen. Jederzeit. Immer.

EMOTIONALITÄT! Beim HSV fehlt ein Mensch, der es schafft das Feuer und die Emotionalität des Clubs zu entfachen. Das kann der Mannschaftskapitän auf dem Platz sein. Das kann der Trainer sein. Das kann der Sportchef oder der Vorsitzende sein. Es muss ein Typ in einer zentralen Funktion sein, an dem sich alle aufrichten, der die Seele des HSV verinnerlicht und der zwischen Club und Fans wieder eine Symbiose bildet. „Wir alle zusammen“. Dieser Typ muss natürlich auch unbedingt die Mentalität besitzen über die ich oben geschrieben habe. Aber während mit der oben beschriebenen Ausrichtung auf Erfolg auch im Hintergrund „still und heimlich“ gearbeitet und trainiert werden muss, benötigen wir eine Person im Scheinwerferlicht, die diese emotionale Bindung verkörpert. Das kann ein Ex-Hamburger sein, muss es aber nicht. Ein Jürgen Klopp ist weder in Dortmund noch in Liverpool geboren, stand in keiner Kurve und hat dort auch als Spieler niemals gespielt. Aber er hat die emotionale Intelligenz, dass „Große Ganze“ zu verstehen und in seinem Alltag vorzuleben.

Ich schreibe hier vom FC Bayern München, vom Liverpool FC und von Jürgen Klopp… vergleiche ich den HSV also dann doch mit den ganz Großen im Weltfussball? Natürlich nicht! Aber wenn wir nur 10% (!) dieser Mentalität und Emotionalität hätten, würden wir uns jetzt nicht über ein 1:5 gegen Sandhausen aufregen müssen.

Mit Bruno Labbadia hatten wir sogar 2x einen Trainer, der aus meiner ganz persönlichen Sicht diese emotionale Bindung zum Club hatte und auch über eine Vita verfügt die ganz klar zeigt, dass hier auch die richtige Mentalität besteht. Eigentlich ein Glücksfall, aber nach einer 0:1 Niederlage gegen den FC Bayern jagen wir auch solche Typen vom Hof. Ist ja alles nicht gut genug. Und heute? Was würden wir heute dafür geben, wenn wir mit dem FCB in einer Liga spielen dürften und dann nur 0:1 verlieren?

Fordere ich jetzt dass Köpfe rollen? Trainer raus? Sportchef raus? „Außer Hermann könnt Ihr alle gehen“? Definitiv NEIN! Vielleicht wäre es ja mal gar keine so schlechte Idee, an Trainer und Verantwortlichen festzuhalten. Genau das haben wir nämlich in den letzten, äußerst erfolglosen Jahren nie getan. Wäre ja mal was Neues. Doch ich würde immer diese beiden von mir genannten Eigenschaften hinterfragen. Neben notwendiger Kompetenz und Talent – stimmen auch Mentalität und Emotionalität? Sind da Typen in Schlüsselpositionen die UNBEDINGT gewinnen wollen? Sind da Typen die eine emotionale Bindung zum Club, der Stadt und den Fans aufbauen können? Diese Fragen sollten möglichst oft mit „ja“ beantwortet werden.

Wir wären keine Hanseaten, keine Hamburger, wenn wir zum Schluss nicht den Blick außerhalb des Volkspark werfen würden. Ich freue mich für die Arminia aus Bielefeld – und ganz besonders für den unglaublich sympathischen Trainer Uwe Neuhaus – zum Aufstieg in Liga 1. Glückwunsch, Ihr habt es total verdient! Ich freue mich auch für den FC St. Pauli, dass man zum Schluss die Kurve bekommen hat und sicher in der Liga verblieben ist. Das sah in der Rückrunde zeitweise anders aus. Die Stadtderbys in der neuen Saison werden somit wieder Highlights werden. Und Werder Bremen wünsche ich auch, dass sie die Relegation gewinnen. Zwar habe ich auch Sympathien für Frank Schmidt, dem Trainer von Heidenheim, aber Werder gehört in die erste Spielklasse. Sollte Werder Bremen überraschend absteigen, wäre das HSV Projekt „Aufstieg“ in der kommenden Saison dann ja auch noch einmal deutlich schwerer. Muss ja nicht sein. Deswegen liebe Bremer: Macht Eure Hausaufgaben, unsere Derbys können ruhig noch eine weitere Saison warten.

Herzlich, Lars Nicolaisen