[youtube https://www.youtube.com/watch?v=lmgAVCdn944&w=560&h=315]

Lars Nicolaisen:

Der Clip dauert 90 Sekunden. Das ist tendenziell recht lang für einen Werbespot, der in der Prime-Time der größten deutschen Fernsehsender ausgestrahlt wird. Das kostet sicherlich richtig viel Geld. Und der Clip als solches ist ebenfalls sehr hochwertig produziert und sicherlich nicht gerade billig. Zum Start seiner Kampagne liefert der Discounter „Lidl“ einen Big Bang! Dabei verzichtet man fast vollständig auf Bezüge zum Lebensmittelhändler. Stattdessen weckt der Auftritt mit seinen perfekt gecasteten Darstellern in Alltagssituationen und dem über Qualität philosophierenden Voice-Over zunächst eher Assoziationen an eine Apple-Kampagne. Zweifellos ist dieser Werbespot klasse gemacht und richtig toll anzusehen. Jedoch tut sich bei mir die Frage auf: Was soll das?

Lidl startet damit eine ganz neue Werbekampagne. Schon in wenigen Tagen sollen neue Spots zu sehen sein in denen dann viel mehr auf Produkte eingegangen wird. Alles unter dem Motto: Qualität! So wird es auch ein neues Kundenmagazin mit dem Namen „Gut! Magazin für Qualität“ geben. Für diese neue Markenbotschaft hat Lidl nicht nur eine neue, kreative Werbeagentur engagiert, sondern auch teure und angesehene Kommunikations- und Onlinemarketing-Agenturen. Warum ich darüber heute schreibe?

Ganz ehrlich, ich weiß nicht was davon halten soll. Lidl zeigt sich genau so wie seine Mitbewerber Aldi oder Kik in Deutschland von einer möglichst sozialen Seite. Eine aktuelle Befragung in in den produzierenden Ländern Bangladesch, China, Indien und anderen Billiglohnländern zeigt jedoch, dass die Situation seit Jahren verheerend ist.

Die Umfrage der „Initiative Romero“ belegt: Die Mehrheit der Mitarbeiter schuftet weiterhin ohne einen Arbeitsvertrag, Überstunden zwischen 30 und 100 Stunden monatlich sind eher die Regel als die Ausnahme und werden nicht ausreichend bezahlt. „Das Arbeitspensum ist de facto so immens, dass es nicht ohne Überstunden zu schaffen ist“, sagt Sandra Dusch Silva von der Initiative Romero. „Das Sündenregister der Discounter ist skandalös“. Ebenfalls sehr kritische Stimmen hört man auch von deutschen oder europäischen Handelspartnern. Lidl scheint ein extrem harter, kompromissloser Geschäftspartner zu sein. Logisch, bei der Preispolitik. Und logisch, wenn der Kunde möglichst immer weniger zahlen will. Nirgends in Westeuropa sind Lebensmittel so billig wie in Deutschland. Der Preiskampf ist brutal und wir Deutschen scheinen immer noch nicht unsere „Geiz ist geil“-Mentalität abgelegt zu haben.

Das alles ist so komplex, dass ich es mir als gelernter Friseur nicht anmaßen will zu behaupten, alle Zusammenhänge zu verstehen. Und mir liegt es auch fern den mahnenden Zeigefinger zu heben. Es gibt sicherlich auch gute Gründe für Lidl & Co. Was mich aber auf die Palme bringt ist die Tatsache, dass jetzt mit hohem Aufwand und sicherlich sehr viel Geld versucht wird, das Discount-Konzept auch noch als „qualitativ hochwertig“ zu positionieren. Man soll ein tolles Gefühl haben, wenn man durch die neonbeleuchteten Gänge schlendert, Waren aus Kartons nimmt und ein T-Shirt inkl. kurze Hose für Kinder zusammen für nur 4,99 Euro kauft. Ganz ehrlich? In meinen Augen ist das abartig! Und so schön der Werbeclip auch ist, so zeigt er mir auch wie beliebig Werbung sein kann. „Qualität“ ist eine innere Einstellung, und sollte nicht auf schöne Bilder in einem Werbeclip reduziert werden können.

Zum Schluss noch zwei Kommentare die ich in den sozialen Netzwerken bezüglich der neuen Lidl-Werbekampagne gefunden habe:

Heidi S.: Die Leute kaufen bei Lidl, weil die Sachen da besonders „gut“ sind? Die Beleuchtung ist nicht gut, die Präsentation der Waren ist nicht gut, die Kundschaft riecht nicht gut, der Preisdruck auf die Hersteller ist nicht gut, die Herkunft der Fleischwaren ist nicht gut, die Schadstoffbelastung der Billig-Aktionsware ist nicht gut, deren Qualität ist auch nicht gut, die Produktionsbedingungen der Textilien sind nicht gut, die Mitarbeiter werden weder gut behandelt noch gut bezahlt. Also WAS hat diese Kampagne mit Lidl zu tun?

Manuel S.: Wieder einmal ein herrliches Beispiel für die Perfidität unserer heutigen Zeit und ein Beweis, dass Werbung nunmal nicht mehr liefern kann als eine unechte, eine künstliche Hülle. Der Kern von Lidl, sei es die Produkte, die Geschäftsprozesse, etc. sind exakt das Gegenteil von „einfach gut“und allgemein bekannt. Ein Brot von Lidl kann nicht gut riechen, schmecken oder sich gut anfassen lassen, es ist ein Widerspruch in sich und ein Schlag in alle Gesichter, die wirklich gutes erschaffen können, wie ein Bäckermeister beispielsweise.

Der Spot ist eben nur ein Spot, eine Hülle, ein gut aussehendes Konstrukt, eine Theorie – völlig losgelöst von der Realität. Werbung, wie man sie kennt. Und sie kommt immer dort zum Einsatz, wo etwas „ungutes“ nicht zum Vorschein kommen darf…

Ich sehe, ich bin nicht allein. Und mit dieser Erkenntnis wünsche ich an diesem Samstag viel Spaß in unseren Salons und anschließend uns allen ein entspanntes Wochenende!

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