Nur selten schreibe ich in meinem Blog über politische Themen. Und jedesmal wenn ich es doch tue, verweise ich natürlich darauf, dass dies ein Blog eines Friseurunternehmers ist und ich viel lieber über unsere Arbeit in den Salons und über Modetrends schreibe, und ich nicht für mich in Anspruch nehme große, politische Debatten lostreten zu wollen. Aber dann und wann überkommt es mich und ich „muss“ meinen Blog nutzen um meinen Gedanken freien Raum zu lassen. Wie immer an dieser Stelle sei erwähnt, dass man keinesfalls meine Ansichten teilen muss und das selbstverständlich auch völlig konträre Meinungen erlaubt sind. Doch die neue #GroKo zwingt mich geradezu Stellung zu beziehen.

Gemeinsam mit meinem Sohn habe ich mir im letzten Jahr viele Wahlkampfveranstaltungen angeschaut. Und immer und überall war eines der zentralen Themen die Entlastung des Mittelstandes! Klar, weiß doch jeder Politiker dass die meisten Besucher solcher Veranstaltungen mit dem Mittelstand zu tun haben. Prozentual arbeiten die wenigsten Arbeitnehmer in Deutschland bei einem Großkonzern oder sind Selbstständig und nur für sich allein verantwortlich. Die meisten Zuhörer auf einer Wahlkampfveranstaltung haben also ein großes Interesse daran, dass es dem Mittelstand gut geht und sie davon direkt oder indirekt profitieren. Gut, zugegeben… ich habe die 187 Seiten des neuen Koalitionsvertrages nicht gelesen. Mag sein, dass da Punkte drin stehen die meine heutige Skepsis eines besseren Belehren – aber alles was man gestern und heute lesen konnte scheint nicht dazu zu eignen, vor Freude in die Luft zu springen. Im Gegenteil.

Es wurde darauf geachtet „den kleinen Mann“ zu entlasten. Mal ganz davon abgesehen dass ich diese Bezeichnung völlig arrogant und bescheuert empfinde, ist es natürlich löblich Menschen in besonders schweren Situation zu entlasten. Dagegen spricht nichts. Aber anstatt dann in der „Nahrungskette“ einen Schritt nach oben zu gehen, wird anschließend nur noch über die große Wirtschaft gesprochen. Was ist mit der Entlastung vom Mittelstand? Nur als ein Beispiel möchte ich auf meinen Beitrag vom 4. Januar 2018 verweisen, in dem ich berichtet habe wie sehr das Handwerk unter dem Kostendruck beim Thema „Ausbildung“ leidet. Hier eine Entlastung zu erzielen würde nicht nur vielen Menschen helfen, sondern würde auch die Attraktivität klassischer Branchen erhöhen.

Oder nehmen wir nur noch als zweites (und letztes) Beispiel das Thema „Löhne“. Man überlegt anscheinend den Mindestlohn weiter auszubauen und Schrittweise zu erhöhen. Das mag in vielen Ohren erst einmal super klingen, aber ich befürchte die wenigsten verstehen was das bedeutet. Nehme ich mein Unternehmen als Beispiel. Der Friseurberuf ist ja nun leider leider leider kein Hochlohnberuf. Und auch ich als Friseurunternehmer verdiene viel zu wenig für das was ich an Leistung und an Risikobereitschaft erbringe. Unsere Mitarbeiter erhalten mehr als den Mindestlohn. Erhöht sich der Mindestlohn, werde auch ich meine Löhne erhöhen müssen um den Abstand zum Mindestlohn zu bewahren. Diese Mehrkosten müssen dann auf die Kunden umgelegt werden. Sprich: Die Dienstleistungen werden teurer. Hätte die Politik endlich mal den Mut zu wahren Reformen, zu frischen Ideen und hätte die Politik endlich mal eine Vision wie sich unsere Gesellschaft in der Zukunft aufstellen könnte, dann würde man ja eventuell auch mal auf die Idee kommen können die Lohnnebenkosten zu reduzieren. Würden die Lohnnebenkosten sinken, hätten meine Mitarbeiter mehr Geld auf dem Konto, das Unternehmen hätte gleichbleibende Kosten und die Dienstleistungen müssten nicht erhöht werden. Das Leben würde nicht teurer werden, aber der Einzelne hat mehr Geld zum ausgeben. DAS wäre mal ein richtiges Signal! Aber nein, stattdessen wird über Themen diskutiert die oftmals nur eine Minderheit der Deutschen (zb „befristete Arbeitsverträge“) wirklich betrifft. Und in den Medien wird fast ausschließlich nur über Posten und Personen berichtet. Typisch. Es ist so ermüdend…

Das bedeutet natürlich nicht das alles schlecht ist. Sich zB Gedanken über fairere Arztbehandlungen zu machen ist ebenso richtig wie über eine Verbesserung der Pflegeversorgung in Deutschland zu sprechen. Aber das es zB kein Digitalministerium gibt, ist beschämend. Wirklich ALLE Parteien die ich mir im Wahlkampf angehört habe, sprachen richtiger Weise von der „Digitalisierung der Gesellschaft“. Und dann erhält dieses zukunftsweisende Thema kein eigenes Ministerium, dafür erhalten wir aber ein Heimat-Ministerium? Hat die AfD und die BILD also wieder mal die politischen Entscheidungen maßgeblich beeinflusst? Ich will ich hier weiß Gott nicht mit einer FDP-Fan-Fahne wedeln, aber dann sind mir Politiker mit Rückgrat doch lieber, die lieber „nicht regieren als falsch zu regieren„, als Politiker die sagen „es geht um die Menschen in Deutschland“ und anscheinen damit in erster Linie nur sich selbst meinen…

Abschließend möchte ich erwähnen, dass ich „alles in allem“ Deutschland als ein gut bis sehr gut regiertes Land empfinde. Alle die jetzt meckern, die sollten mir bitte einmal Länder nennen in denen sie viel lieber leben wollten weil es da ja so viel besser ist. Und es ist natürlich immer wichtig nicht nur auf die Dinge hinzuweisen die bei uns nicht gut gelaufen sind bzw immer noch nicht gut laufen, sondern auch aufzuzählen was alles gut läuft und welche Erfolge erzielt wurden. Es ist weiß Gott nicht alles schlecht. Und auch eine neue GroKo kann Gutes bewirken, dass will ich ja gar nicht in Abrede stellen. Aber ich sehne mich nach frischem Wind. Nach Aufbruchstimmung. Nach einer Vision für die man keinen Arzt braucht. Ich befürchte jedoch dass drei angeschlagene Parteivorsitzende dies nicht realisieren können – und auch nicht wollen. Und genau das ist es, was mich heute ein wenig traurig zurück lässt.

Ich wünsche uns allen dennoch einen wunderbaren Donnerstag.

Herzlich, Lars Nicolaisen