Cdca3U1WoAA3KvY

Lars Nicolaisen:

Wir sind ein Friseurunternehmen. Bei uns sollte sich alles um Mode, Schönheit, Wellness und um Leichtigkeit drehen. Dem ist ja auch so. Zumindest meistens. Aber „Friseur“ sollte auch immer etwas mit Zeitgeist zu tun haben. Und genau darüber muss ich heute schreiben. Ich kann nicht sagen, dass mich die Wahlerfolge der AfD überrascht haben. So etwas deutete sich ja an. Aber traurig und wütend bin ich darüber dennoch. Einige Gedanken haben mich gestern Abend bewegt und über die möchte ich heute schreiben.

Haben AfD Wähler in der Schule nicht aufgepasst? Wissen sie nicht wie Hitler an die Macht gekommen ist? Haben sie „Die Welle“ nicht gelesen? Die Welt wird immer komplexer. Das dies einem Angst einflössen kann, verstehe ich. Aber was ich nicht verstehen kann ist die Tatsache, dass eine nicht unerhebliche Zahl der gestrigen Wähler anscheinend wirklich glaubt, dass in einer immer komplizierteren Welt die Lösungen in einfachen Parolen zu finden sind. Viele Aussagen von AfD Politikern sind einfach nur widerlich, höchst fremdenfeindlich, beschämend, dumpf und verstoßen für mein Empfinden gegen den Artikel 1 des Grundgesetztes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Auch ich bin mit der aktuellen Flüchtlingssituation unzufrieden. Auch ich hege Befürchtungen, dass das was uns in den letzten Jahrzehnten stark gemacht hat (unsere Werte, unsere Kultur und die Art wie wir leben), durch eine zu schnelle, hohe und unkontrollierte Einwanderung Schaden nehmen könnte. Ich kann verstehen wenn man seiner Wut Ausdruck verleihen, und den etablierten Politikern einen Denkzettel verpassen möchte. Aber eine Partei wählen die offen über einen Schießbefehl an der Grenze nachdenkt? Eine Partei die homosexuelle Menschen zählen lassen möchte? Eine Partei, dessen Vertreter in Talkshows Sätze sagen wie „Der Syrer, der zu uns kommt, hat immer noch Syrien. Wenn wir unser Deutschland verloren haben, dann haben wir keine Heimat mehr.“? Sagt mal, geht es noch? Sein Kreuz bei solch einer Partei zu machen hat nichts mit Protest zu tun. Dies ist schlicht und einfach ein Armutszeugnis!

Dabei sind die AfD Wähler in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt ja nicht allein. Die immer stärker werdende Marie Le Pen in Frankreich oder ein Donald Trump bei den Kandidatenwahlen in den USA zeigen, dass sich viele Menschen in der westlichen Welt wieder nach einfachen Lösungen sehnen. Da möchte ich nur eine Frage stellen: „Liegt das an den Politikern und deren Politik, oder an der mangelnden Bildungsbereitschaft der Bürger?“ Unsere Gesellschaft verkommt für mein Empfinden immer mehr zu einer Gesellschaft, in der man sich nicht mehr mit komplexen Themen auseinander setzen möchte. Eine Gesellschaft, die nur noch die Überschriften liest und sich allein daraus eine Meinung bildet.

Das habe ich (ganz unpolitisch) z.B. letzten Montag selbst erleben dürfen, als ich meinen Blogbeitrag „Schere am Nagel“ tituliert hatte. Obwohl der Beitrag nun wirklich nicht sehr lang war und ich darin auch ganz deutlich geschrieben habe auf welche beruflichen Felder ich mich konzentrieren möchte und wie ich unser Unternehmen nach vorn zu bringen gedenke, schrieben bzw. riefen mich einige Kollegen und Facebook-Freunde an und meinten tatsächlich, dass ich mich zur Ruhe setzen würde. Hallo? Noch nicht einmal drei Minuten Zeit genommen meinen Beitrag zu lesen – und dennoch eine Meinung gebildet?

Und der Wunsch sich mit komplexeren Themen nicht mehr auseinander setzen zu wollen zieht sich ja durch alle Lebensbereiche. Das ist ja nicht nur in der Politik so, sondern auch im Alltag. Fragt mal Mitarbeiter von „Hotlines“ wie viele Menschen anrufen die schon mit den einfachsten Dingen überfordert sind und sich am Telefon erklären lassen wo man einen Drucker o.ä. anschalten muss. Das ist unsere Gesellschaft: Nicht nachdenken, sondern immer nach der einfachsten Lösung suchen. Oder noch besser: Suchen lassen. Selbst suchen ist ja auch irgendwie zu anstrengend.

Eigentlich wollte ich jetzt noch meine Verwunderung darüber kundtun, dass viele Wähler am gestrigen Sonntag wohl noch nicht einmal den Unterschied zwischen Landtags- und Bundestagswahlen verstanden haben. Gestern ging es doch gar nicht um die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung, sondern z.B. um Schul- und Verkehrspolitik im jeweiligen Bundesland. Aber selbst das scheint 2016 für viele schon zu kompliziert zu sein….

Ihr merkt, ich rege mich auf. Entschuldigung. Das ist nicht der richtige Ort für solche Diskussionen. Und selbstverständlich kratze ich heute mit meinen Beispielen nur an der absoluten Oberfläche. Und natürlich kann und darf man auch eine andere Meinung haben als ich. Doch ich denke auch, dass solch eine gesellschaftliche Entwicklung auch in einem „Friseur-Blog“ nicht völlig umkommentiert bleiben darf. Ich bin mir sicher dass es viele Mitarbeiter, Kunden und Freunde gibt die es zumindest interessant finden, wie ich über die gestrigen Wahlergebnisse denke. Man muss meine Ansicht ja nicht teilen, aber es ist mir ein Bedürfnis solch eine gefährliche Entwicklung nicht umkommentiert zu lassen.

Ich wünsche uns allen einen guten Start in die neue Woche.

Vorheriger Beitrag
NVB 011: Olga
Nächster Beitrag
Sachen gibt´s…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte gib eine gültige E-Mail-Adresse ein.